Verkauf der Bildung an die Wirtschaft? (Die Presse) 10.04.2003

 

Beim ersten Humanismus-Gespräch im Akademischen Gymnasium Wien begab man sich auf die Suche nach der "Bildung".

 

WIEN (ewi). Haben zwei Unterrichtsstunden mehr oder weniger pro Woche Auswirkungen auf den Bildungsstand der Schule? "Ein klares Nein", so lautet die prompte Antwort des emeritierten Pädagogikprofessors Marian Heitger. Der Direktor des Akademischen Gymnasiums (AKG), Klemens Kerbler, legt sich da weniger klar fest: "Dass man den Unterricht da und dort verringert, begleitet mit einem guten Konzept, dafür bin ich zu haben", sagt er, fügt aber gleich hinzu: Er sei "betrübt", dass sich die Jugendlichen dann weniger in der Schule, "der Stätte der Beruhigung", befänden.
Das Top-Thema der Schulpolitik kam nur am Rande der Diskussion zum Thema "Der Mensch - das Maß der Bildung" zur Sprache. Am Dienstagabend startete das AKG den in Kooperation mit der "Presse" gestalteten Humanismus-Zyklus, bei dem sich die eingeladenen Referenten vor allem um die allgemeine Bildung Sorge machten. Heitger spricht von einem "Verkauf der Pädagogik an die wirtschaftliche Brauchbarkeit", fast gleich lautend sieht auch der langjährige Stadtschulratspräsident Kurt Scholz im Zusammenhang mit der Bildung die "Diktatur des Utilitarismus": "Das, was gerade nützlich ist, ist gut."

Heitger stellt generell fest, dass Bildung aus dem offiziellen pädagogischen Sprachschatz weitgehend verschwunden und durch die Begriffe Kompetenzen und Humankapital ersetzt worden ist. Wobei der Nestor der Wiener Pädagogik eine These aufstellt: "Der Verkauf der Pädagogik an die wirtschaftliche Brauchbarkeit tötet die Pädagogik." Wobei auch die Wirtschaft Schaden nehme, denn diese benötige Elemente, die nicht in einen unmittelbaren Nutzen umzusetzen sind. Ist Bildung demnach ein Luxus? AKG-Direktor Kerbler stimmt dem zu. Er ist stolz auf seine Schule, "die sich den Luxus noch leisten kann".

In seinem Schlusswort richtet Scholz den Appell an die Eltern, die neuesten Errungenschaften nicht zu überschätzen: "Das Internet macht den Klugen klüger - aber nicht den Dummen."

Der Humanismus-Zyklus wird mit dem Thema "Grundfragen der Rechtsphilosophie - Das Wesen der Gerechtigkeit" fortgesetzt: am 9. Mai im Alten Rathaus, Wipplinger Straße 8 (19 Uhr).